Das neue Fotorecht in Belgien

Abgebildet ist das Denkmal mit dem Namen Maneken Pis, das einen pinkelnden kleinen Jungen zeigt. Das Denkmal steht in Brüssel und ist bei Touristen beliebt.

Wäre das nicht der richtige Umgang mit der DS-GVO? Trotz vieler Ausnahmen gibt es auch in Belgien einiges zu beachten – vor allem die Berufsethik. Foto: Hirschler


Ausnahmen von der Datenschutz-Grundverordnung gibt es auch in Belgien.
Fotos können unter anderem zu journalistischen Zwecken auch ohne Einwilligung von Personen aufgenommen werden, wenn es berechtigte Interessen der Medien an der Aufnahme und/oder Veröffentlichung gibt. Dabei können auch sensible Dinge mit auf Fotos abgebildet werden, z.B. Fahnen oder sonstige Gegenstände, auf denen die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft oder Religion zu erkennen ist. Sollte das Foto nur auf Grundlage einer Einwilligung möglich gewesen sein, kann diese Einwilligung anschließend nicht mehr widerrufen werden. Auch ein Widerspruch gegen die Nutzung des Fotos hat bei Medien erst einmal keine Wirkung. Wer Fotos aus der Welt schaffen will, muss vielmehr den ganz normalen Rechtsweg gehen und kann nur auf diesem Weg eine Löschung problematischer Bilder erreichen.

Als journalistische Arbeit gilt dabei nicht nur die Veröffentlichung des Fotos, sondern bereits die Vorbereitung, die Aufnahme sowie die Bildredaktion und –bearbeitung.

Diese Grundsätze (und noch viel mehr) sind in Artikel 24 des Ausführungsgesetzes vom 30. Juli 2018 (veröffentlicht im Staatsblatt vom 5. September 2018) geregelt. Ein eigenes Fotografiegesetz wie das deutschen Kunsturhebergesetz, in dem die Zulässigkeit der Aufnahme und Verbreitung von Bildern geklärt wird, gibt es in Belgien nicht. In Artikel 10 des Urhebergesetzes (Auteurswet vom 30. Juni 1994) wird zwar das Recht einer Person an ihrem Bild festgeschrieben, schriftliche Regelungen zur Zulässigkeit der Verbreitung von Bildern sind dort jedoch im Text nicht zu finden. Das Recht zur Fotografie ohne Einwilligung für die journalistische Arbeit und andere Anlässe wurde daher bislang über die Rechtsprechung geklärt. Aus diesem Grund gibt es im Prinzip auch keinen Auslegungskonflikt über die Frage der Geltung von Gesetzen wie derzeit in Deutschland, wo einige Landesdatenschutzämter meinen, die weitere Gültigkeit des Kunsturhebergesetzes bestreiten zu können.

Nach Artikel 24 Ausführungsgesetz gilt, dass bestimmte Regelungen der DS-GVO bei der Datenverarbeitung zu journalistischen, universitären, künstlerischen oder literarischen Zwecken nicht anzuwenden sind.
Was konkret als journalistische Arbeit gilt, ist nach dem Artikel 24 auf Grundlage der „deontologischen Regelungen“ (Berufsregeln) zu beurteilen. Was heißt das konkret?

Charlotte Michilis vom Flämischen Journalistenverband (Vlaamse Vereniging van Journalisten – VVJ) meint dazu: „Belgische Journalisten müssen bei Aufnahme in den Journalistenverband unterschreiben, dass sie die Berufsregeln einhalten, die vom Rat für Journalismus aufgestellt und deren Verletzung öffentlich angeprangert wird. Auch wer das nicht unterschreibt, unterliegt im Übrigen der Zuständigkeit und der Kritik des Rates, weil dieser nach einem Gerichtsurteil das Recht hat, sich auch zu und gegenüber Personen zu äußern, die dort nicht Mitglied sind oder sich seiner Zuständigkeit nicht unterworfen haben, weil der Rat immer noch das Recht auf Meinungsäußerung hat.“ Der Rat für Journalismus wiederum wird zwar im Gesetz nicht explizit erwähnt, doch Michilis verweist auf die Gesetzesbegründung („Memorie van Toelichting“, dort Seite 49-56), in der nachgelesen werden kann, dass der Gesetzgeber mit den deontologischen Regeln den Rat meint.

Damit dürfte gelten, dass als Journalist/inn/en in den Belgien diejenigen Personen anzuerkennen sind, die nach ihrer Arbeitsweise im Großen und Ganzen dem Berufsbild und der Berufsethik entsprechen, die im Regelwerk des Rates für Journalismus zu finden sind. Darüber hinaus kann natürlich auch das konkrete journalistische Arbeiten eine Rolle spielen, wenn jemand eine Datenschutzverletzung behauptet. Der Schutz des Artikels 24 dürfte insofern vor allem dann entfallen, wenn jemand in krasser Weise gegen eine Bestimmung der Berufsregeln verstoßen hat oder gleich mehrere dieser Regelungen verletzt hat.

Ein Negativbeispiel: Wer beispielsweise auf Twitter unter Pseudonym ständig Hassbotschaften formuliert, ohne auf Gegenpositionen sachlich einzugehen, Social-Media-Gerüchte eins zu eins „durchreicht“ und Bilder aus dem Intimbereich von Personen online stellt, verstößt gegen die Grundregeln des Rats für Journalismus und kann sich daher nicht auf die Ausnahmebestimmungen des Artikel 24 berufen.

Ob dagegen bereits ein einzelner (leichter) Verstoß gegen die Vorschriften genügt, um den Artikel 24 Ausführungsgesetz auszuschließen und die Anwendung der DS-GVO und damit auch Sanktionen der Datenschutzbehörden auszulösen, wird allerdings erst die künftige Rechtsprechung zeigen.

Grundsätzlich gilt in Belgien, dass eine Datenverarbeitung auch für Journalisten nur dann zulässig ist, wenn eines der nachfolgenden Kriterien des Artikels 6 der DS-GVO erfüllt ist:

  • es liegt eine Einwilligung der Person vor
  • es gibt eine vertragliche Verpflichtung oder zur Klärung vorvertraglicher Pflichten erforderlich
  • es gibt eine rechtliche Verpflichtung zur Datenverarbeitung
  • es müssen lebenswichtige Interessen einer Person gewahrt werden
  • die Verarbeitung erfolgt im öffentlichen Interesse oder in Ausübung öffentlicher Gewalt
  • die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verarbeiters oder eines Dritten erforderlich. Nach der Gesetzesbegründung („Memorie van Toelichting“) gilt der Journalismus als berechtigtes Interesse für die Datenverarbeitung.

Die Ausnahmen für Journalisten betreffen Teilbereiche der DS-GVO. So sind ausgeschlossen die Bestimmungen der Artikel 7 bis 10, 11.2, 13 bis 16, 18 bis 20 und 21.1.

Das betrifft konkret:

Artikel 7 –diese Bestimmung regelt: die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Einwilligung sowie die Möglichkeit, diese Einwilligung jederzeit zu widerrufen. Journalisten können also auch mit formlosen Einwilligungen tätig werden, ein späterer Widerspruch von Personen, z.B. Interviewpartnern, hat keine Wirkung.

Artikel 8 – diese Regelung stellt Bedingungen auf für die Nutzung und damit Datenverarbeitung in „Diensten der Informationsgesellschaft“, z.B. einen Social-Media-Dienst, ist eine Einwilligung erst ab 16 Jahren möglich, es sei denn, dass der EU-Mitgliedsstaat das Alter niedriger festlegt, minimal aber auf 13 Jahre. Medienangebote können sich demnach auch an Kinder und Jugendliche unter 16 und auch 13 Jahren wenden und deren Daten verarbeiten. Allerdings sind die Vorgaben zu beachten, die im Code des Rates für Journalismus für Bildaufnahmen und deren Verbreitung gemacht werden. Danach kann es dann doch auf die Zustimmung der Sorgeberechtigten ankommen.

Artikel 9 – die Bestimmung regelt: die Verarbeitung besonders sensibler Daten wie Gewerkschafts- und Religionszugehörigkeit oder sexuelle Identität ist grundsätzlich verboten und nur in Ausnahmefällen erlaubt. Journalisten können also weiterhin über solche Tatbestände berichten.

Artikel 10 – die Regelung verbietet die Verarbeitung von Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten. Journalisten können also weiterhin über Straftaten und –urteile berichten.

Artikel 11.2 – diese Bestimmung verlangt die Benachrichtigung einer Person, deren Daten verarbeitet werden, ohne dass diese Person dabei identifizierbar ist. Dabei soll ihr (nur) mitgeteilt werden, dass ihre Daten verarbeitet werden, die Person dabei aber nicht identifiziert werden kann. Journalisten können also massenhaft anonymisierte Daten verarbeiten, ohne die Betroffenen über diese Verarbeitung überhaupt zu informieren.

Artikel 13 – die Regelung schreibt Informationspflichten gegenüber Personen vor, wenn Daten bei einer Person erhoben werden. Journalisten müssen also (z.B. vor Interviews oder Fotoaufnahmen) keine Informationszettel verteilen.

Artikel 14 – die Regelung schreibt Informationspflichten gegenüber Personen vor, wenn Daten von Personen nicht direkt bei der Person selbst erhoben werden. Journalisten können also Informationen über Personen auch über Datenbanken, Internet oder andere Weise sammeln, ohne diese Personen über ihre Recherchen zu informieren.

Artikel 15 – diese Bestimmung regelt das Auskunftsrecht von Personen gegenüber den Datenverarbeitern. Journalisten müssen also keine Auskunft darüber erteilen, was sie an Personendaten auf dem Computer oder in sonstiger Weise gespeichert haben.

Artikel 16 – diese Regelung sieht ein Recht von Personen auf Berichtigung von Daten vor. Journalisten können daher Forderungen von Personen, dass sie ihre gespeicherten oder auch veröffentlichten Daten ändern müssten (z.B. wegen Änderung des Namens oder des Geschlechts des/der Gesprächspartner/in), ignorieren, jedenfalls soweit diese Forderungen mit der DS-GVO begründet werden.

Artikel 18 – diese Bestimmung sieht ein Recht auf Einschränkung der Datenverarbeitung vor, insbesondere für die Dauer rechtlicher Auseinandersetzungen. Journalisten müssen also im Fall eines Rechtsstreits nicht anfangen, schon während des Verfahrens Veröffentlichungen zurückzuziehen oder umzuschreiben.

Artikel 19 – diese Bestimmung regelt eine Pflicht zur Mitteilung gegenüber allen Personen, denen Daten gegenüber offengelegt wurden, in dieser Mittteilung sollen sie über die Berichtigung, Löschung oder Einschränkung dieser Daten informiert werden. Journalisten müssen also, wenn sie Personendaten in veröffentlichten Beiträgen ändern, nicht etwa groß und überall darauf hinweisen.

Artikel 20 – die Regelung sieht vor, dass Personen einen Anspruch auf die Übertragbarkeit der über sie gespeicherten Personendaten haben, wenn sie beispielsweise den Anbieter wechseln wollen. Journalisten können also entsprechende Anfragen von Bürgern auf „Abschrift/Kopie aller gespeicherten Daten“ ignorieren.

Artikel 21.1 – diese Bestimmung regelt ein das Recht auf Widerspruch gegen eine Datenverarbeitung, die beispielsweise auf Grundlage eines behaupteten berechtigten Interesses vorgenommen wird. Nur wenn zwingende schutzwürdige Gründe vorliegen und diese die Interessen, Rechte und Freiheiten der jeweiligen Person überwiegen, kann der Widerspruch ignoriert werden, oder wenn die Daten für eine rechtliche Fragestellung erforderlich sind. Journalisten können also Widersprüche von Bürgern gegen ihre Artikel oder Fotos ignorieren, zumindest soweit sie auf Grund der DS-GVO geltend gemacht werden.

Das Recht von Personen auf Löschung ihrer Daten nach Artikel 17 DS-GVO gehört dagegen zwar nicht zu den Ausnahmen. Das liegt jedoch schlichtweg daran, dass in Artikel 17 Absatz 3 DS-GVO schon selbst eine Ausnahme für eine Datenverarbeitung vorsieht, die zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erfolgt. Wer also nicht die eingangs geschilderten Kriterien des Artikels 6 DS-GVO erfüllt, wird die Daten daher im Regelfall löschen müssen.

Weiterhin gelten nicht die Artikel 30.4, 31, 33 und 36. Diese regeln konkret:

Artikel 30.4 – die Bestimmung sieht die Pflicht vor, ein so genanntes Verarbeitungsverzeichnis der Datenschutzbehörde zur Verfügung zu stellen. Medienhäuser können also nicht von neugierigen Aufsichtsbehörden zur Darlegung aller ihrer Abläufe gezwungen werden.

Artikel 31 – diese Regelung legt fest, dass die Datenverarbeiter und deren Auftragnehmer zur Zusammenarbeit mit der Datenschutzbehörde verpflichtet sind. Journalisten können also einen weiten Bogen um die Datenschutzbehörden machen.

Artikel 33 – diese Bestimmung sieht vor, dass bei Datenschutzverletzungen Meldungen bei der Datenschutzbehörde erfolgen müssen. Medienhäuser und Journalisten können also Fehler bei der Datenverarbeitung für sich behalten, jedenfalls gegenüber den Behörden. Der Artikel 34 DS-GVO ist freilich nicht ausgeschlossen, weswegen bei Fehlern von den Medien zumindest die Betroffenen selbst zu benachrichtigen sind, wenn durch den Fehler ein hohes Risiko für die betroffenen Personen besteht.

Artikel 36 – diese Regelung betriff die vorherige „Konsultation“ mit der Datenschutzbehörde, wenn eine Datenverarbeitung stattfindet, die mit einem hohem Risiko belastet ist, wie vielleicht etwa eine ganz neue Datenverarbeitungstechnik mit einer Beta-Version einer Software. Journalisten können also bei ihrer Datenverarbeitung weiterhin nach dem Prinzip „Learning by doing“ arbeiten und müssen sich nicht langwierigen Genehmigungsprozeduren aussetzen.

Ausgenommen sind auch die Artikel 44 bis 50 der DS-GVO, welche die Datenübermittlung ins Ausland regeln und nur unter bestimmten Regelungen zulassen. Journalisten können also ihre Recherchen weiterhin ungezwungen im Ausland durchführen oder Informationen mit anderen Personen im Ausland austauschen bzw. diskutieren.

Schließlich ist der Artikel 58 der DS-GVO ausgenommen. Diese Regelung sieht zahlreiche Eingriffsmöglichkeiten der Datenschutzbehörde vor, die letztendlich den Betrieb von Medien in ganz erheblicher Weise stören oder sogar beenden könnten. Nicht ausgenommen sind allerdings die Möglichkeiten der Datenschutzbehörden, auf Grundlage von Artikel 84 DS-GVO Bußgelder in erheblicher Höhe und auf Grund nationalstaatlicher Regelungen auch andere Sanktionen zu verhängen. Auch der Artikel 82 DS-GVO gilt, der den von einer Datenschutzverletzung betroffenen Personen einen Rechtsanspruch auf Schadensersatz einräumt.

Auch einige andere Pflichten sind nicht ausgeschlossen: So sind Journalist/inn/en (wie in Deutschland) nach Artikel 5 DS-GVO zur Einhaltung des journalistischen Datengeheimnisses verpflichtet, d.h. Recherche-Ergebnisse dürfen nicht einfach an die Anzeigenabteilung oder kommerzielle Tochterfirmen des Medienhauses weitergegeben werden. Auch sind Medien nach Artikel 32 DS-GVO zu geeigneten Maßnahmen für eine sichere Organisation und Technik der Datenverarbeitung verpflichtet.

Da es, wie bereits eingangs erwähnt, in Belgien – anders als in Deutschland mit dem Kunst- und Urhebergesetz – keine gesetzliche Regelung gibt, mit der das Recht auf (Presse-)Fotografie schon früher explizit festgelegt wurde, gibt es zunächst einmal keine weiteren juristischen Debatten hinsichtlich des Geltungsbereichs der DS-GVO bzw. anderer Gesetze. Allerdings wird unter Umständen die bisherige Rechtsprechung zum Porträtrecht bzw. Bildrecht von Personen zu beachten sein, die über Jahrzehnte hinweg Abwägungsgrundsätze erarbeitet hat. Denn diese können bei der Klärung der Frage, wann ein berechtigtes Interesse für die journalistische Arbeit vorhanden ist und unter welchen Umständen dieses höher zu bewerten ist als die Grundrechte und Grundfreiheiten einer Person, insbesondere hinsichtlich des Rechts an der Privatheit. Hinzu kommt, dass auch das Regelwerk des Rats für Journalismus (Raad voor Journalistiek) zu beachten ist, der in vielen Punkten Vorgaben für die Herstellung und die Veröffentlichung von Fotografien macht.

Es wird insofern auch zu beobachten sein, wie sich die Rechtsprechung in dieser Frage entwickeln wird.

Michael Hirschler, hir@djv.de

PS: Wer des Flämischen bzw. (belgischen) Niederländischen mächtig ist, kann hierzu einen ausführlichen Beitrag auf der Seite journalist.be nachlesen, sowie die Präsentationen der VVJ-Juristin Charlotte Michilis herunterladen (Format Powerpoint pptx): DS-GVO und Journalismus sowie DS-GVO und nichtjournalistische Tätigkeiten

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