Das neue Fotorecht in den Niederlanden

Es ist zu sehen die Fahne der Niederlande als Grafikbild

Das Fotorecht in den Niederlanden regelte sich bis zum 25. Mai 2018 vor allem durch Artikel 21 des Urhebergesetzes (auteurswet). Nach diesem Gesetz gilt:

Wenn ein Porträt angefertigt wird, ohne dass der Hersteller dazu von den abgebildeten Personen beauftragt wurde oder wegen ihnen tätig wurde, oder ohne dass er zu ihrem Vorteil beauftragt wurde, darf der Inhaber des Urheberrechtes das Porträt nicht öffentlich machen, wenn gegen die Veröffentlichung ein berechtigtes Interesse der abgebildeten Person steht oder im Falle des Todes der abgebildeten Person die Veröffentlichung gegen ein berechtigtes Interesse einer der Verwandten verstoßen würde.

(Nichtoffizielle Übersetzung: Michael Hirschler, DJV)

Auf dieser knappen Regelung baute eine ganze Rechtsprechung auf, die im Prinzip viel freizügiger ausfiel als die Regeln des deutschen Kunst- und Urhebergesetzes (KUG). So gab es beispielsweise Urteile, nach denen sich Auszubildende gefallen lassen mussten, mit ihrem Bild in der Werbung ihres Ausbildungsbetriebs vorzukommen, weil sie nicht plausibel darstellen konnten, welches berechtigtes Interesse verletzt sein könnte: für die Verletzung ihres eigenen „Werbe-Werts“ sah das Gericht in einem Fall keine Grundlage, da nicht erkennbar gewesen sei, dass die Auszubildenden schon einen solche Vermarktungswert hatten. In Deutschland wäre eine solche Entscheidung eigentlich undenkbar, weil eine kommerzielle Nutzung von Personenbildern im Regelfall eine Genehmigung voraussetzt und einen Schadensersatzanspruch auslöst.

Seit dem 25. Mai 2018 gilt nun auch in den Niederlanden die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO). Sie heißt auf niederländisch „Algemene verordening gegevensbescherming“ (AVG). In den Niederlanden gibt es zur DSGVO/AVG auch ein nationales Ausführungs-/Umsetzungsgesetz (UAVG), das noch einmal besondere Regelungen vorsieht. Im Artikel 43 dieses Gesetzes sind Ausnahmen hinsichtlich journalistischer Zwecke oder akademischer, künstlerischer oder literarischer Ausdrucksformen geregelt. Darin wird festgestellt, dass das Ausführungsgesetz selbst zum größten Teil für diese Bereiche nicht gilt und von der DS-GVO nur Teile zur Anwendung kommen. So ist beispielsweise das in der DS-GVO geregelte Recht auf den Widerruf der Einwilligung zu einer Datenverarbeitung nicht anwendbar (damit Journalisten nicht ihre Artikel oder Fotos nach einem (Foto-/Film-)Interview wegen eines spontanen Widerrufs löschen müssen). Auch wird die Regelung der DS-GVO, nach der sensible Personendaten wie Religions- oder Gewerkschaftszugehörigkeit nur unter strengen Voraussetzungen verarbeitet werden, faktisch für unanwendbar erklärt: diese Daten können frei verarbeitet werden, wenn dafür eine Notwendigkeit vorliegt. Ebenso finden die Regelungen der DS-GVO, mit denen die Verarbeitung von Daten über Straftaten oder strafrechtliche Verurteilungen streng geregelt wird, auf den Journalismus (sowie Kunst und literarisches Schaffen) keine Anwendung. Auch die Pflichten zur Information der Personen, deren Daten verarbeitet werden, sind hier für die genannten Arbeitsbereiche ausgeschlossen. Wer also Fotos zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken anfertigt und verbreitet, muss die abgebildeten Personen weder vorher noch nachher informieren. Damit ist die beispielsweise die Straßenfotografie in den Niederlanden weitgehend unproblematisch, auch wenn natürlich jederzeit von den fotografierten Personen ein überwiegendes berechtigtes Interesse gegen die Verbreitung geltend gemacht werden kann.

Noch nicht gänzlich geklärt erscheint das Verhältnis zwischen dem eingangs erwähnten „Porträt-Recht-Artikel 21“ des niederländischen Urhebergesetzes und den neuen Bestimmungen der DS-GVO sowie den Ausnahmebestimmungen des niederländischen Ausführungsgesetzes zur DS-GVO. In den derzeitigen Publikationen des niederländischen Journalistenverband (NVJ) wird der Artikel 21 des Urhebergesetzes gar nicht mehr erwähnt, sondern die Grenzen der fotojournalistischen Arbeit nun über die DS-GVO erklärt unter Berücksichtigung der Ausnahmeregelungen des Ausführungsgesetzes zur DS-GVO. Dabei ließe der Artikel 85 DS-GVO eigentlich auch die weitere Existenz der bislang geltenden medienrechtlichen Bestimmungen zu. Allerdings erlaubt auch der Artikel 6 Absatz 1 lit f DS-GVO die Verarbeitung von Personendaten (und damit auch Fotos), wenn der Nutzer daran ein berechtigtes Interesse hat und die Grundrechte und Grundfreiheiten der abgebildeten Person diesem gegenüber nicht überwiegt. Für den niederländischen Fotojournalismus ist die Anwendbarkeit der DS-GVO offensichtlich auch deswegen kein größeres Problem, weil der Artikel 9 (Verbot der Verarbeitung sensibler Daten) ausgeschlossen ist und auch die problematischen, weil unrealistisch aufwändigen Informationspflichten nach Kapitel III der DS-GVO keine Anwendung finden.

Da die Regelungen des Artikel 21 Urhebergesetzes und des Artikels 6 Absatz 1 lit f DS-GVO im Übrigen auch in der Formulierung im Prinzip als deckungsgleich angesehen werden können, dürfte eine juristische Debatte wie Deutschland, ob und wie weit das bisherige Fotografiegesetz KUG noch gilt, gar nicht erst entstehen.

Vielmehr besteht in den Niederlanden sogar umgekehrt die Möglichkeit, dass für die Interpretation des Artikel 6 Absatz 1 lit f DS-GVO auf die Urteile zu Artikel 21 Urhebergesetz zurückgegriffen werden kann. Die Rechtsprechung zu dieser Regelung erlaubt – wie bereits erwähnt – schon bislang eine werbliche Nutzung der Bilder von Personen, eine Nutzung, die auch die meisten Kommentatoren zur DS-GVO für zulässig halten, wenn keine berechtigten Interessen der abgebildeten Personen geltend gemacht werden können.

Im Vergleich zu Deutschland bleibt natürlich darauf hinzuweisen, dass die Regelungen in den deutschen Landespresse-/Landesmedien-/Landesdatenschutzgesetzen im Bereich des Journalismus im Prinzip noch freizügiger ausfallen, weil der Journalismus hier bis auf die Pflicht zur Beachtung einer angemessenen Organisation und Technik sowie zur Einhaltung des journalistischen Datengeheimnisses weitgehend aus der Anwendbarkeit der DS-GVO herausgelöst wird. Bei der Fotografie zu künstlerischen oder literarischen Zwecken haben die Niederlande wiederum mehr Freiheit, weil in Deutschland hierzu bisher nur in einigen Landesgesetzgebungen Ausnahmen von der Anwendung der DS-GVO festgelegt wurden.

Was die Arbeit von Einzelpersonen, Firmen und Vereinen im Bereich der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit angeht, besteht in den Niederlanden allerdings im Prinzip die gleiche Rechtsunsicherheit wie in Deutschland. Soweit die Aktivitäten der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit als Wahrnehmung der Meinungs- und Informationsfreiheit einzelner, von Firmen oder Verbänden anzusehen ist, könnte sie natürlich aus verfassungsrechtlichen Gründen und in Verbindung mit Artikel 85 DS-GVO auch ohne explizite Regelung im Ausführungsgesetz zulässig sein und aus der Anwendung der DS-GVO fallen. Natürlich würde das erst recht gelten, wenn die Meinungsäußerung, Informationsarbeit bzw. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit als „Journalismus“ eingestuft werden kann. Hier werden natürlich viele Juristen wiederum auf das einschlägige Urteil des Europäischen Gerichtshofs verweisen, der zuletzt als Journalismus nur anerkennen wollte, wenn eine „abgrenzbare Einheit“ ganz im Sinne einer Redaktion innerhalb einer Firma oder eines Verbandes tätig wurde. Aus Sicht des DJV muss der Begriff des „Journalismus“ in diesem Zusammenhang allerdings demokratiefreundlicher interpretiert werden. Es kann nicht sein, dass Einzelpersonen und kleine Firmen oder Verbände, die keine solchen „abgrenzbaren Einheiten“ aufweisen, bei der Meinungs- und Informationsfreiheit weniger Rechte haben als Großfirmen oder –verbände.

Wie dem auch sei, während für den klassischen Journalismus, künstlerische und literarische Tätigkeiten in den Niederlanden ausreichend Freiraum geschaffen geworden zu sein scheint, bleiben für Aktivitäten der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit derzeit noch einige Fragen offen. Wir informieren weiter.

Michael Hirschler, hir@djv.de

Der Gesetzestext auf Deutsch (nichtautorisierte Eigenübersetzung mit Erläuterungen in der Klammer):

Artikel 43 UAVG: Ausnahmen hinsichtlich journalistischer Zwecke oder akademischer, künstlerischer oder literarischer Ausdrucksformen

  1. Dieses Ausführungsgesetz, mit Ausnahme von Artikel 1 bis 4 und 5 Absatz 1 und 2, ist nicht anzuwenden auf die Verarbeitung von Personendaten für ausschließlich journalistische Zwecke und zum Nutzen von aussschließlich akademischen, künstlerischen oder literarischen Ausdrucksformen (die genannten Ausnahmen betreffen Grundbegrifflichkeiten der Anwendung dieses Gesetzes wie den räumlichen Anwendungsbereich sowie die Möglichkeit, dass eine von Vertretungsberechtigten einmal erteilte Zustimmung für Personen unter 16 Jahren widerrufen werden kann).
  2. Die nachfolgend genannten Kapitel und Artikel der Datenschutz-Grundverordnung sind nicht auf die Verarbeitung von Personendaten für ausschließlich journalistische Zwecke und zum Nutzen von ausschließlich akademischen, künstlerischen oder literarischen Ausdrucksformen anzuwenden:
    a. Artikel 7 dritter Absatz (diese Bestimmung der DS-GVO lässt den Widerruf einer einmal erteilten Einwilligung zu), und Artikel 11 zweiter Absatz (diese Regelung der DS-GVO verlangt, dass Personen sogar dann über die Verarbeitung ihrer Daten informiert werden müssen, wenn dem Datenverarbeiter die Identifizierung der Personen, deren Daten verarbeitet werden, gar nicht möglich ist; sie müssen kurioserweise darüber informiert werden, dass ihre Daten verarbeitet werden, diese aber nicht zu ihrer Identifizierung geeignet bzw. gedacht sind).
    b. Kapitel III (dieses Kapitel regelt die Rechte der Personen, deren Daten verarbeitet werden, etwa Auskunftsrechte und Widerspruchsrechte bei der Datenverarbeitung sowie Pflichten zur Information der Personen, deren Daten verarbeitet werden bzw. von denen Fotos angefertigt und/oder verbreitet werden);
    c. Kapitel IV (dieses Kapitel regelt die Frage, wer als Verantwortlicher für eine Datenverarbeitung anzusehen ist und mit welchen Stellen die verantwortliche Stelle zusammenarbeiten kann, mit oder ohne Zustimmung oder Information der Personen, um deren Daten es geht), mit Ausnahme der Artikel 24, 25 (die Artikel 24 und 25 verlangen von der verantwortlichen Stelle angemessene technische und organisatorische Maßnahmen zur Sicherheit der Datenverarbeitung), 28, 29 (diese Regelungen verlangen bestimmte Maßnahmen von derjenigen Stelle, die Daten im Auftrag verarbeitet) und 32 (diese Regelung verlangt sowohl von der verantwortlichen Stelle als auch vom Auftragsverarbeiter die Einhaltung bestimmter Sicherheitsstandards);
    d. Kapitel V (dieses Kapitel regelt die Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen);
    e. Kapitel VI (dieses Kapitel betrifft die Aufsichtsbehörden für den Datenschutz); und
    f. Kapitel VII (dieses Kapitel regelt die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden in Europa, insbesondere bei unterschiedlichen Ansichten zum Datenschutz).
  3. Die Artikel 9 (diese Bestimmung verbietet die Verarbeitung besonders sensibler Personendaten wie Religions- oder Gewerkschaftszugehörigkeit) und 10 (diese Regelung bestimmt, dass Daten betreffend Straftaten und strafrechtlichen Verurteilungen nur unter ganz engen Voraussetzungen verarbeitet werden dürfen) der Datenschutz-Grundverordnung sind nicht anzuwenden, soweit die Verarbeitung der in den Artikeln behandelten Daten notwendig ist für das journalistische Ziel oder die akademische, künstlerische oder literarische Ausdrucksform.

    (Nichtoffizielle Übersetzung: Michael Hirschler, DJV)

Artikel 43. Uitzonderingen inzake journalistieke doeleinden of academische, artistieke of literaire uitdrukkingsvormen

  1. Deze wet, met uitzondering van de artikelen 1 tot en met 4 en 5, eerste en tweede lid, is niet van toepassing op de verwerking van persoonsgegevens voor uitsluitend journalistieke doeleinden en ten behoeve van uitsluitend academische, artistieke of literaire uitdrukkingsvormen.
  2. De navolgende hoofdstukken en artikelen van de verordening zijn niet van toepassing op de verwerking van persoonsgegevens voor uitsluitend journalistieke doeleinden en ten behoeve van academische, artistieke of literaire uitdrukkingsvormen:
    a. artikel 7, derde lid, en artikel 11, tweede lid:
    b. hoofdstuk III;
    c. hoofdstuk IV, met uitzondering van de artikelen 24, 25, 28, 29 en 32;
    d. hoofdstuk V;
    e. hoofdstuk VI; en
    f. hoofdstuk VII.
  3. De artikelen 9 en 10 van de verordening zijn niet van toepassing voor zover de verwerking van de in die artikelen bedoelde gegevens noodzakelijk is voor het journalistieke doel of de academische, artistieke of literaire uitdrukkingsvorm.

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