DSGVO-Chaos in Deutschlands Gerichten und Datenschutzbehörden

Die Bundesregierung verkündet seit einigen Monaten, dass das „Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie“ (Abkürzung: KunstUrhG, auch: KUG) weiterhin gilt. Dieses Gesetz regelt in seinen §§ 22, 23 die Zulässigkeit der Aufnahme und Verbreitung von Bildern. Auch das Oberlandesgericht Köln hat das in einer Entscheidung bestätigt. Aus Sicht der Bundesregierung gibt es daher keinen Gesetzgebungsbedarf in Bezug auf Fotografie und Film. Alles problemlos also, und das, obwohl sich zuletzt der Bundesrat in dieser Frage „in Sorge“ zeigte und der Landtag Schleswig-Holstein dazu sogar eine aufwändige Anhörung durchführt?

In Wirklichkeit herrscht in Deutschland ein DSGVO-Chaos, das es in sich hat. Eine Reihe von Landesdatenschutzämtern gibt Veröffentlichungen heraus, in denen sie weiterhin erklären, die Geltung des KUG sei „unklar“, und die DSGVO könne oder müsse sogar genausogut angewendet werden. Das Landesdatenschutzamt Brandenburg fordert in einer Veröffentlichung sogar die Löschung von „Altbeständen“ der Fotografie, wenn es an einer DSGVO-tauglichen Einwilligungserklärung der abgebildeten Personen fehle. Fahrenheit 451 lässt grüßen, der Medienstandort Brandenburg war wohl eher gestern, heute ist er Löschzentrale.

Jetzt gibt es vom Landgericht Frankfurt ein Urteil, mit dem dieses Chaos noch deutlicher wird. Konket ging es um eine (Social-Media-)Verbreitung eines Videos, auf dem zu sehen ist, wie einer Kunding eines Friseursalons die Haare verlängert werden. Der Frisörsalon wollte damit für seine Arbeit werben. Die Kundin hatte der Aufnahme nach ihrer Aussage nicht zugestimmt. In jedem Fall konnte der Verwender des Videos keine Einwilligung nachweisen.

Natürlich weiß jeder Foto- und Filmjurist, dass ein solches Video nicht verbreitet werden darf. Dazu genügt ein Blick in die §§ 22, 23 KUG und jahrzehntealte Rechtsprechung. Der Nachweis einer Einwilligung wäre schon deswegen angebracht, weil die Nutzung offensichtlich zur Bewerbung des Frisörsalons dienen sollte. Es gibt zwar Situationen, in denen Bilder zu Zwecken der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auch ohne Einwilligung verbreitet werden dürfen, jedoch hätte es sich dann um eine Sondersituation handeln müssen wie eine Veranstaltung (z.B. Frisör-Wettbewerb). Eine ganz normale Haarverlängerung kann nur mit Einwilligung verbreitet werden, und die muss im Zweifelsfall nachgewiesen werden. So wollen es das KUG und die dazugehörende Rechtsprechung.

Weil in Deutschland aber offensichtlich niemand wirklich genau feststellen kann, ob das KUG wirklich noch so gewollt wird wie früher, wendet das Landgericht auf den Fall einfach beide Gesetzgebungen an, das KUG und die DSGVO! Welches der Gesetze eigentlich gelte, müssen vom Landgericht dabei gar nicht entschieden werden, denn im konkreten Fall sei die Fotoverbreitung sowohl nach KUG als auch nach DSGVO unzulässig gewesen.

Das Urteil ist eine Bankrotterklärung für den Rechtsstaat und die verfassungsrechtlich garantierte Rechtssicherheit. Gerichte wissen nicht, welche Gesetze gelten – und hantieren dennoch mit ihnen. Inwieweit ein Urteil, das mit möglicherweise unwirksamen Gesetzen spielt, anfechtbar wäre, steht noch auf einem anderen Blatt.

Für Fotografinnen und Fotografen ist diese Situation unhaltbar, weil sie – und ihre Rechtsvertreter – offenbar immer zwei unterschiedliche Rechtsgrundlagen prüfen müssen. Und anders als im Falle des Frisörsalons sind viele Fälle eben nicht so einfach gelagert, dass immer das Gleiche herauskommt. Die DSGVO enthält zahlreiche Stolpersteine für die freie Fotografie/freies Video und ist in vielen Punkten auch inkompatibel mit der Konzeption von Bilderwelten bzw. der Erfassung der Wirklichkeit durch Bilder. Deswegen gab und gibt es ja gerade das KUG.

Das Urteil zeigt klar: Das Mantra der Bundesregierung, es müsse einfach gar nichts unternommen werden, ist nicht haltbar. Landesdatenschutzbehörden und einzelne Gerichte wenden die DSGVO an, obwohl die Bundesregierung diese Anwendung für unzulässig hält. In solchen Fällen hilft nur noch eine Klarstellung im Gesetz, beispielsweise im Bundesdatenschutzgesetz, mit dem die Geltung des KUG bekräftigt wird.

LG Frankfurt am Main, 13.09.2018 – 2-03 O 283/18

MH

1 Kommentar zu “DSGVO-Chaos in Deutschlands Gerichten und Datenschutzbehörden

  1. Also, ich kann beim besten Willen kein Chaos entdecken und finde die Überschrift des Artikels reißerisch und unpassend.

    Dass das Gericht feststellt, dass nach beiden Rechtsnormen die Verarbeitung unzulässig sei, sehe ich als eine Klarstellung, nicht als Beleg dessen Unwissenheit.
    Und dass die DSGVO in Art 85 in Abs 1 und 2 jedem Mitgliedstaat freistellt, eigene Rechtsnormen bzgl. (…) journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken zu erlassen (worunter das KUG fällt), sollte einem Durchschnittsbürger beim einfachen Durchlesen auch klar sein.
    Des Weiteren scheint die Rechtsprechung (Urteil des OLG Köln vom 18.06.2018) dieses Verständnis zu bestätigen, auch wenn es in der Kürze der Zeit noch kein höchstrichterliches Urteil dazu geben kann.

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